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Was Platon zur Reise Deines Lebens sagte (Höhlengleichnis)

Das folgende, über zweitausend Jahre alte Höhlengleichnis des griechischen Philosophen Platon (400 v.Chr.), ist eine der bedeutendsten Weisheitsgeschichten der Menschheit. Niemand hat je besser beschrieben, was auch Du erleben wirst, wenn Du Dir Fragen stellst und dabei Geheimnisse über das Menschsein und das Leben entdeckst. Wir haben die Geschichte für Dich in die heutige Sprache gebracht, Inhalt und Botschaft sind unverändert.



Der Weg aus Platons Höhle der Unbewusstheit

(Das »Höhlengleichnis«)


1  Die Gefangenen

Stelle Dir eine Höhle vor. In der Mitte der Höhle steht quer eine mannshohe Mauer. An die Mauer gekettet, mit Blick zum Inneren der Höhle sitzen Gefangene. Auch ihr Kopf ist angekettet, sodass alle nur in eine Richtung sehen können. Stelle Dir vor, dass alle Gefangenen gemeinsam an die gegenüberliegende Höhlenwand blicken. Weil ihr Kopf fixiert ist, sehen sie vor ihren Augen nichts anderes als diese Höhlenwand. Weil auch ihre Köper angekettet sind, können sie nicht aufstehen und die Höhle erkunden.

Auf jener Höhlenwand, die alle Gefangenen betrachten, sind bewegliche Schatten zu sehen – von Menschen, Tieren, Pflanzen, Wolken. Stelle Dir vor, die Gefangenen würden schon immer in dieser Höhle sitzen und sie hätten noch nie etwas anderes gesehen als die Wand vor sich, mit den Schatten. Die Schatten wären also ihre gesamte bekannte Welt. Die Gefangenen würden sich über die Schatten unterhalten, würden sich über das Verhalten mancher Schatten wundern, würden sie genau beobachten und ihre Entdeckungen und Vermutungen untereinander austauschen. Vielleicht gäbe es unter den Höhlenbewohnern sogar einige Schattenwissenschaftler.




2  Die Befreiung

Nun stelle Dir vor, es würde einem der Gefangenen gelingen, sich aus seinen Ketten zu befreien. Er steht auf und blickt sich in der Höhle um. Dabei entdeckt er hinter sich, oberhalb jener Mauer an der alle Gefangenen angekettet sitzen, den Ausgang. Von dort aus fällt das Tageslicht nach unten auf die Höhlenwand. Immer, wenn Menschen oder Tiere an dem oberen Höhlenausgang vorbei ziehen, werfen sie ihre Schatten auf die Höhlenwand vor den Gefangenen.

Die Gefangenen wissen von alldem nichts. Für sie besteht die Welt aus dunklen, zweidimensionalen Figuren.

Der Befreite hingegen sieht gerade mit eigenen Augen, wie die Schatten entstehen und dass sie nicht die Wahrheit über das Leben und die Welt sind, sondern nur ein schwaches Abbild. Natürlich berichtet der Befreite seinen Mitbewohnern von seiner Entdeckung. Er wandert aufgeregt vor ihnen auf und ab und erzählt, dass alles was sie ihr Leben lang für wahr hielten, nicht die Wirklichkeit ist, sondern nur ein Schattentheater. Er spricht darüber, wie die Illusionen entstehen, wie man die Wahrheit erkennen kann und um wieviel interessanter diese ist. Immer wieder fordert er die anderen auf, aufzustehen und sich zu interessieren. Aber sie können nicht, denn ihre eigenen Ketten halten sie gefangen.




3  Die Welt der Höhlenbewohner

Wie würden die Angeketteten wohl auf die Aussagen ihres befreiten Mitbewohners reagieren, sofern sie weiterhin angekettet sein müssten? Vermutlich würden sie die meisten seiner Behauptungen für verrückt halten. Was wäre, wenn der Befreite dennoch nicht aufhören würde, über seine Entdeckungen zu berichten? Erst würden sie ihn ignorieren. Dann würden sie ihm sagen, er solle aufhören, diese Dinge zu sagen. Dann würden sie ihn für verrückt erklären und lächerlich machen. Dann würden sie versuchen, ihn zum Schweigen zu bringen. Wenn auch das nichts hälfe, würden sie ihn ganz offen ablehnen, aus der Gemeinschaft ausschließen und vielleicht sogar bekämpfen. Sie würden einen der ihren bestrafen, weil er über eine neue Wahrheit spricht. Obwohl der Befreite nichts weiter tat, als zu berichten, was er entdeckt und erkannt hat.




4  Die Welt des Befreiten

Wie würde es dem Befreiten nach seiner Entdeckung ergehen? Zunächst wäre er verwirrt zu erkennen, dass nichts so ist, wie er bislang glaubte. Vielleicht würde er sich wieder an seinen vertrauten Platz vor der Schattenwand setzen, in der Hoffnung, dass alles wieder so sein würde, wie früher. Aber ein Teil von ihm kann einfach nicht vergessen, was er gesehen hat. Vielleicht macht das dem Befreiten ein wenig Angst, weil sein besonderes Wissen ihn nun von der Welt seiner Mitbewohner trennt. Um Verständnis herzustellen, versucht er ganz vorsichtig, seine Entdeckungen zu erklären. Dabei berichtet er nicht nur über die Entstehung der Schatten, sondern auch – in guter Absicht – über die begrenzte Sichtweise der noch angeketteten Höhlenbewohner, von denen er selbst einer war.

Doch je mehr er um Interesse, Verständnis oder Begeisterung bei den anderen ringt, umso mehr Ablehnung erfährt er. Bis es sogar zum offenen Streit und zu Angriffen kommt. Obwohl der Befreite immer wieder über die Glück bringende Wirkung seiner Entdeckung sprechen möchte, wird ihm diese freundliche Absicht als Angriff vorgeworfen. Nach einer Weile fühlen sich die Höhlenbewohner bereits alleine durch seine Gegenwart angegriffen.




5  Die Entscheidung

Schließlich erkennt der Befreite, dass er eine Entscheidung treffen muss, die er eigentlich unbedingt vermeiden wollte: Entweder setzt er sich schweigend zurück an seinen alten Platz an der Mauer und beobachtet weiterhin die Schatten, um mit den anderen auf die alte Weise darüber zu diskutieren. Oder [WN1] aber dies ist ihm trotz aller Sehnsucht nach der vertrauten Gemeinschaft nicht mehr möglich, weil er sich so sehr verstellen müsste, dass er sich damit ständig selbst verletzt.

Folgt er alleine dem Weg seiner erkannten Wahrheit oder fügt er sich schweigend der Weltsicht seiner ehemaligen Gefährten? Das eine Leid steht nun einem anderen Leid gegenüber.


6  Die neue Welt

Der Befreite entscheidet sich, seiner Sehnsucht zu folgen und macht sich auf den Weg zum Höhlenausgang. Er sucht nach den Quellen des Lichts. Obwohl die Entdeckung, dass es eine größere, hellere und vielfältigere Welt gibt, wie ein Magnet auf ihn wirkt, macht ihm dieser Weg ins Unbekannte auch ein wenig Angst. Als der Befreite schließlich den Höhleneingang erreicht, blendet das Tageslicht seine Augen so sehr, dass es schmerzt. Wo vorher alles dunkel und grau war, explodieren plötzlich die Farben und Formen der Welt wie ein Rausch der Sinne in seinem Kopf. Auch die Geräusche wirken viel greller und lauter und kommen aus allen Richtungen, statt nur von der Höhlenwand reflektiert zu werden.

Die Welt jenseits der Schatten ist unglaublich grandios und unglaublich verwirrend zugleich. Für den Befreiten wirkt es, als würde das Leben ihm seine Entstehung noch einmal ganz von vorne offenbaren, jetzt mit vollständigen Erklärungen und Bildern, gemalt aus Licht, Farben und Raum. Wissend, dass er eigentlich nichts weiß, dafür aber unendlich viel entdecken kann, geht er seine ersten Schritte. Doch nun lohnt sich jede Bewegung, denn jede neue Entdeckung macht ihn glücklich. Und dieses ständig Neue wird ihn nie mehr verlassen.



 

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